„Diese Kinder können gar nicht spielen…“

Dieser Satz fiel vor ein paar Tagen in einer Diskussion mit einer Erzieherin. Diesen Satz alleine könnte ich ja noch mit kleinen Hinzufügungen unterschreiben.

Allerdings lautete der ganze Satz „Kinder, die nicht bereits in die Krippe gingen, können überhaupt nicht spielen, wenn sie dann mit 3 in den Kindergarten kommen.

 

Meine Versuche, zu erklären, dass Kinder spielen, wenn sie sich sicher fühlen, stießen auf Granit.

 

Mich machen solche Aussagen immer wieder so fassungslos. Herrscht wirklich die Meinung vor, Kinder müssten lernen, zu spielen? Wie absurd ist das denn? 

Die meisten Säugetiere spielen von ganz alleine, nur Menschenkinder müssen es lernen?

Natürlich nicht. Kinder spielen, wenn die Bedingungen dazu gegeben sind. Diese Bedingungen sind vor allem Ruhe. Ruhe vor Bindungsarbeit. Die Bindungsbedürfnisse müssen gestillt sein und das Kind muss sich sicher fühlen, dann wird manchmal emergente Energie frei und das Kind spielt.

Solche Aussagen kann ich mittlerweile ganz gut durch eine andere Brille betrachten und zumindest für mich solche Behauptungen  schlüssig widerlegen.

Trotzdem kriecht in mir die Wut hoch, wenn meine Tochter von Erzieher:innen betreut wird, die genau solche Ansichten haben.

Kinder, je früher in die Krippe, desto besser. So ein Quatsch. Das kommt alles aufs Kind an, auf die Situation und auf die Bindungsarbeit, die von den Erzieher:innen geleistet wird. Ich verteufle die Fremdbetreuung nicht, weiß aber, dass die optimalen Bedingungen aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht immer gegeben sind.

Meine Tochter fing sehr spät an, alleine zu spielen. Richtig zu spielen.

Sie war in ihrem Leben bereits so vielen Trennungssituationen ausgesetzt, dass sie nur sehr selten die Ruhe fand, um wirklich zu spielen.

Das hat meinerseits sehr viel „Bindungsarbeit“ gefordert und war nicht immer leicht.

Den Satz „Im Zweifel ist die Antwort IMMER mehr Bindung!“ habe ich mir dick hinter die Ohren geschrieben.

 

 

Bindung ist die Antwort auf viele Problemstellungen.

 

Ich merke genau am Verhalten meiner Tochter, wenn der Tag im Kindergarten zu lang war, wenn sie nicht an mir festhalten konnte, als wir getrennt waren.

Nach so einem Tag ist viel Feingefühl meinerseits nötig, um die Kleine wieder einzusammeln, um die Bindung wieder zu aktivieren.

Wenn mir also eine Erzieherin sagt, dass die Kinder, die die Fremdbetreuung nicht gewöhnt sind, Schwierigkeiten haben, zu spielen, dann kann ich nur sagen, es sollte die Aufgabe der Erzieher:innen sein, dem Kind dabei zu helfen, an seiner Mama oder an seinem Papa festzuhalten, während es im KiGa ist.

 

Es gibt hier kein Spielproblem, sondern ein Bindungsproblem.

 

Je älter die Kinder sind, desto tiefer sollten die Bindungswurzeln sein. In den ersten beiden Lebensjahren haben die Kinder fast keine Möglichkeit, an ihren Hauptbindungen festzuhalten.

Im ersten Lebensjahr bindet sich das Kleinkind ausschließlich über die physische Nähe. Im zweiten sollte dann die Bindung über Gleichheit dazukommen.

Kleine Trennungen können überbrückt werden. „Du siehst aus wie deine Mama, deine Mama wird immer deine Mama sein. Wenn sie gleich kommt, dann drückt sie dich ganz fest…sie ist immer deine Mama.“

Mit 3 sollte, wenn alles ideal läuft die Bindung über Zusammengehörigkeit und Loyalität dazukommen.

„Meine Mama…“ Das Kind drückt einen enormen Besitzanspruch aus und ist sehr eifersüchtig. Es stellt immer wieder klar, wer seine Eltern sind.

Hier fangen Kinder auch meist an, es ihrer Bindungsperson rechtmachen zu wollen, kooperieren zu wollen. Vieles wird einfacher.

Mit 4 Jahren kommt die Bindung über Wertschätzung dazu. Und hier ist meine Tochter gerade und ich habe die enorme Erleichterung gespürt, die damit einherging.

Trennungen fallen ihr leichter, sie kann besser an unserer Bindung festhalten, während wir getrennt sind.

Sie ist öfters ruhig, weniger aufgebracht und unruhig. Sie fühlt sich bei Abwesenheit öfters mit mir verbunden als noch auf der vorherigen Bindungsstufe.

Nun erfreue ich mich tagtäglich, dass sie bereits auf der 4. Stufe gebunden ist und „ernte die Früchte“.

 

Die Natur hat auf alles ihre Antwort, wir müssen nur darauf vertrauen.

 

Wenn ein Kind im Kindergarten gute Bindungen zu den Erzieher:innen hat, wird es auch zur Ruhe komme können und spielen.

Natürlich gilt das auch für zu Hause. Ist das Bedürfnis nach Bindung gestillt, kann das Kind zur Ruhe kommen und ins Spiel finden. Es spielt aber nicht, so lange andere wichtige Bedürfnisse unbeantwortet sind.

Spiel lässt sich nicht anordnen. Es kommt von innen heraus, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind. Nach einem langen Tag mit vielen Trennungserfahrungen (Schimpfen und ähnliche Disziplinierungsmaßnahmen sind Trennungserfahrungen).

Die Antwort auf „mein Kind kann nicht spielen“ ist also: „Welche Bedürfnisse sind nicht erfüllt? Wie kann ich meinem Kind dabei helfen, zur Ruhe zu kommen?“

 

Wenn du über Trennung nachdenkst oder bereits getrennt bist und Kinder unter 7 Jahren hast, dann solltest du unbedingt dieses Video anschauen.



In dem Video erfährst du 3 wichtige Dinge:

  • Weshalb die 3 gängigen Umgangsmodelle Residenzmodell, Wechselmodell und Nestmodell nur als grobe Richtschnur dienen können.
  • Weshalb Kleinkinder und Vorschulkinder bei der Trennung der Eltern besondere Begleitung brauchen.
  • Weshalb der Satz „Die Kinder leiden am meisten“, unreflektierter Bull*it ist.

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