Vor kurzem stand ich vor der Entscheidung, ob meine Tochter eine Ganztagsschule besuchen soll oder ob sie um die Mittagszeit vor der Tür stehen kann.

Noch haben Eltern die Wahl, ob sie ihre Kinder an einer Ganztagsschule anmelden oder nicht.

In dem Artikel schreibe ich über die Aspekte, die zu meiner Entscheidung gegen eine Ganztagsschule geführt haben.

 

Anspruch auf Ganztagsschule

 

Ab August 2026 hat jedes Grundschulkind, das eingeschult wird, einen Anspruch auf eine “ganztägige Förderung”.

Dieser Anspruch wird in den darauf folgenden Jahren jeweils um eine Klassenstufe erweitert. Ab August 2029 hat jedes Grundschulkind, das in Deutschland zur Schule geht, einen Anspruch auf eine Ganztagsschule.

Ob dieser Anspruch irgendwann auf eine Pflicht zum Ganztag ausgeweitet wird, steht wohl in den Sternen. Ich bin in der Diskussion allerdings auch nicht auf dem neuesten Stand.

Wenn ich mir ausmale, wie viel Geld ich in den letzten Jahren an Betreuungskosten gespart hätte, dreht sich mir der Kopf.

Dennoch bin ich sehr froh, dass wir eine Wahl hatten und meine Tochter um 12, spätestens um 13 Uhr Schule aus hatte.

Die Selbstständigkeit und Freiheit, die sie dadurch am Nachmittag hatte und die Entwicklung, die sie gemacht hat, hätte ihr kaum ein Ganztagsangebot bieten können.

 

Recht auf eigene Entscheidung?

 

Trotzdem ist mir bewusst, dass es viele Kinder gibt, denen es in Ganztagsschulen gut, vielleicht sogar besser als zu Hause geht. 

Mal ganz davon abgesehen, dass viele Familien nicht das Privileg haben, überhaupt darüber nachdenken zu können. Alleinerziehende schon mal gar nicht. Sie brauchen schlichtweg die Betreuung, um arbeiten zu können. 

Meine Tochter ging nach der Schule ebenfalls noch bis 14 Uhr zur Betreuung. Wieder einmal hatten wir damit ein Riesenglück. Die Erzieherinnen spielten eine wichtige Rolle für mein Kind und sie ging sogar in den Ferien lieber in die Betreuung als zu Hause zu bleiben.

Dort wurde aber eben gespielt und gebastelt, und nicht “gefördert”. Alle, die mich schon länger lesen, wissen, dass ich das größte Entwicklungspotential im Spiel und in freier kreativer Tätigkeit sehe.

Hier habe ich schon mal beleuchtet, wieso ich Ganztagsschulen für Grundschüler kritisch sehe: 

Ganztagsschulen durch die Brille der Entwicklungspsychologie

 

Nun steht der Übergang zur weiterführenden Schule bevor.

 

Nachdem wir uns einige Schulen angeschaut haben, haben wir die Entscheidung für eine Schule im Nachbarort getroffen.

Anfangs zog ich die Ganztags-Option in Betracht, bis ich weitere Details dazu erfuhr.

So, wie das Angebot an der Schule gestaltet ist, würde es schlichtweg sehr viel Sitzen und sehr wenig Bewegung vorgesehen.

Die 45 Minuten, die für Hausaufgaben zur Verfügung stünden, würden die Hälfte der Zeit nicht reichen und die Vorbereitung und das Lernen für Prüfungen müsste dann nach 16 Uhr noch zu Hause stattfinden.

Für uns ist ausgeschlossen, dass nach einem solch langen Schultag zu Hause noch irgendetwas für die Schule gemacht werden könnte/würde.

 

Wenig Raum für Kreativität und Bewegung

 

Die Kinder haben im Ganztags-Profil an dieser Schule, wie die Schüler im Halbtags-Profil, nur eine Stunde Kunst und zwei Stunden Sport in der Woche.

Musik weiß ich gar nicht, aber sicher nicht mehr als 1-2 Schulstunden. Mal ganz davon abgesehen, dass das Musik machen wohl immer mehr in den Hintergrund rücken wird.

Es  scheint so viel wichtiger zu sein, alles über verstorbene, berühmte Musiker zu lernen. Also auch hier kein Raum mehr für kreativen Ausdruck.

Wann haben wir uns eigentlich einreden lassen, dass Kunst und Musik weniger wichtig seien, als Naturwissenschaften und Religion?

Mit dem späten Schulende würde unsere ganze Woche aus Stress bestehen. Schnell nach Hause, schnell zu den Hobbies und dann wieder schnell nach Hause, um liegengebliebene Hausaufgaben zu erledigen.

 

Kurzum: Die Ganztagsschule, wie sie an der ausgewählten Schule gelebt wird passt mir nicht, weil:

 

  • So gut wie kein Raum für Kreativität
  • Sehr viel Sitzen und sehr wenig Bewegung
  • es gibt Hausaufgaben
  • Nach der schule wäre der Tag vorbei
  • Keine Zeit für Hobbies und andere Freizeitaktivitäten
  • Keine Zeit, um einfach nur zu sein
  • Nach der schule wäre wahrscheinlich erstmal eine lange Entspannungsphase nötig und danach wäre dann wirklich der Tag vorbei

 

Auf das Ganztagskonzept kommt es an

 

Wir hatten uns noch eine andere Schule angeschaut, an der mir das Ganztagskonzept wesentlich besser gefallen hätte.

Es gab ein Sportprofil und auch ein Kunstprofil, viele AGs aus denen gewählt werden konnte.

Somit wäre in der Schule selbst Raum für Kreativität, Spiel und Spaß. Soweit das in einer Gruppe von Gleichaltrigen geht. Ich unterstelle jetzt aber mal, dass die Schule das gut hinbekommt und die Kinder sich dort wirklich entfalten können.

Damit möchte ich sagen, dass ein Ganztagskonzept nicht per se schlecht sein muss.

Aber nicht jedes Angebot passt zu jedem Kind und da unsere Kinder einige Jahre auf der Schule verbringen werden, sollten wir gut abwägen.

Diese Schule wurde es dann aber doch nicht, da alle Freundinnen auf eine andere Schule gehen.

Der gemeinsame Schulweg morgens auf dem Fahrrad und das weitere Bestehen von Freundschaften, sowie die bekannte Umgebung, spielten bei der Entscheidung eine Rolle.

Außerdem war ich trotz des guten Konzepts der Ganztagsschule nicht überzeugt, dass sie Raum für unsere Bedürfnisse als Familie lassen würde.

 

Die zwei Stunden Zeit hätten mir gut getan

 

Ich muss gestehen, dass ich mir innerlich schon ausgemalt hatte, was ich mit den zwei freien Stunden am Tag machen könnte, sollte meine Tochter bis 15:45 zur Schule gehen. Natürlich würde das sehr viel Druck aus meinem Alltag nehmen.

Schon alleine der Fakt, dass sie satt aus der Schule kommen würde und ich nicht irgendwie zwischen Erwerbsarbeit und Care Arbeit für ein warmes Mittagessen sorgen müsste, hätte eine Entlastung für mich gebracht.

Das muss gut abgewogen werden und es ist auch absolut vertretbar, sich für eine Ganztagsschule zu entscheiden, weil man selbst die Entlastung benötigt.

Kann ich absolut nachvollziehen. Für mich war nur schnell klar, dass das bisschen Entlastung durch die längere Schulzeit nicht das aufwiegen wird, was uns dadurch fehlen wird.

Seit 10 Jahren arbeite ich, während meine Tochter betreut wird und bin für mein Kind da, wenn die Betreuung zu Ende ist.

Es gab noch nie einen zeitlichen Puffer zwischen Erwerbsarbeit und Care-Arbeit. Den hätte mir nun eine Ganztagsschule gebracht. Nur zu welchem Preis?

 

Bei einer Ganztagsschule wären mir persönlich diese Punkte wichtig:

 

  • Ist die Schule wirklich zu Ende, wenn die Kinder nach Hause kommen? Werden also keine Hausaufgaben aufgegeben oder sind diese in der Schule zu erledigen? Steht uns die Zeit nach der Schule als Familie zur Verfügung?
  • Hat mein Kind genügend Pausen in der Schule, in denen es sich zurückziehen oder mit anderen Kindern spielen kann?
  • Gibt es genügend Möglichkeiten für die Kinder, sich zu bewegen?
  • Sind kreative Angebote vorhanden und können ausreichend von den Kindern in Anspruch genommen werden?
  • Wo und was essen die Kinder zu Mittag? Wie viel Zeit haben sie dafür?

 

Natürlich gibt es noch viele andere Punkte, die mir wichtig sind. Es wird nie eine Schule geben, die alle Wünsche erfüllt. Im Großen und Ganzen muss es aber passen.

An der ausgewählten Schule hat mich die Stimmung am Tag der offenen Tür direkt überzeugt.

Die Lehrkräfte schienen engagiert und freundlich. Es waren viele ehemalige Schüle*innen da und die Art und Weise, wie ihre ehemaligen Lehrer und Lehrerinnen mit ihnen umgegangen sind, hat mich sehr optimistisch gestimmt.

Das Angebot der Schule mit den vielen Schüleraustauschen und der tolle Chemiesaal waren für mich ehrlich gesagt weniger bedeutend.

Die Stimmung soll gut sein und mein Kind sich wohlfühlen. Alles weitere wird sich mit der Zeit finden. 

Am Ende ist Schule für kurze Zeit ein wichtiger Ort, an der idealerweise Entwicklung und Lernen stattfindet. Es soll aber nicht der einzige Ort bleiben, an dem Kinder lernen. 

 

Leider haben viele Alleinerziehenden keine Wahl

 

Ich bin mir bewusst, dass es ein Privileg ist, darüber entscheiden zu können. 

Der Artikel möchte dir auf gar keinen Fall ein schlechtes Gewissen machen, sollten deine Kinder länger betreut werden. 

Für viele Kinder passt eine Ganztagsschule sehr gut. 

Aber eben nicht für alle. Und dann sollten Eltern die Wahl haben. 

Dazu müssten Familien mehr unterstützt werden, was leider aktuell nicht der Fall ist.

Vor allem Alleinerziehende haben noch sehr viel seltener eine Wahl. Aber dann lasst uns vielleicht dafür einsetzen, dass die Angebote an Ganztagsschulen sich weiter verbessern und unsere Kinder dort eine tolle Zeit haben.

 

Denn Schule ist nicht die Vorbereitung auf das Leben. Schule ist für viele Jahre Teil des Lebens unserer Kinder.

Sie leben nicht für später, sie leben heute.

 

Die Wahl ist also gefallen, wie wir das Ganze umsetzen und wie es am Ende dann klappen wird, weiß ich noch nicht. 

Ich hoffe, dass das zunehmende Alter meines Kindes seinen Teil dazu beitragen wird, dass vieles selbstständiger erledigt und damit einfacher wird.