Je mehr ich mich in die Materie der Entwicklungspsychologie einarbeite desto öfter stelle ich mir die Frage, wieso diese Ansätze so wenig bekannt sind?

Noch schlimmer, wie wenig diese Ansätze akzeptiert oder gar gelebt werden. Dabei sind diese so logisch, offensichtlich und hilfreich.

Ganz oft wird auch etwas, das Verhaltenspsychologie beinhaltet mit Entwicklungspsychologie gekennzeichnet.

Immer wenn ich einer dieser Aha-Momente habe bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass das Wissen aus der Entwicklungspsychologie unbedingt der breiten Masse zugänglich gemacht werden müsse.

Oft stoße ich auf taube Ohren, bei Erziehern etwa oder bei Kinderärzten. Viele Eltern wollen auch gar nicht zu viel darüber wissen.

Zu sehr sind wir von den Ansätzen der Verhaltenspsychologie und der Lerntheorie geprägt. Zu lange sind wir davon ausgegangen, dass Kinder die meisten Dinge lernen müssen.

Das alleine Einschlafen zum Beispiel, oder das alleine Schuhe anziehen wollen. Alles meinen wir unseren Kleinen beibringen zu müssen. Sogar, wann sie selbstständig sein und von Mamas oder Papas Rockzipfel lassen sollen.

 

Lange schon vertrauen wir nicht mehr auf den Plan der Natur. Oft haben wir den Zugang zu unseren Gefühlen verloren und noch viel öfters trauen wir uns nicht, uns auf unser Bauchgefühl zu verlassen.

Dabei kann es doch gar nicht sein, dass die Natur zum Erziehen von Kindern voraussetzt, dass die Eltern erst 100 Elternratgeber lesen um zu wissen, wie es geht. Natürlich wurde uns das Kinderbegleiten in die Wiege gelegt.

Die Puppe weint und kein Kind käme auf die Idee, sie erstmal ein paar Minuten weinen zu lassen um ihr beizubringen, dass sie Geduld üben muss. Auch würde meine Kleine ihre Puppe nie alleine schlafen legen und einfach gehen.

Die meisten Fertigkeiten, die ein Mensch braucht, entwickeln sich oder werden geübt, wenn die Bedingungen dazu gegeben sind.

Echte Geduld, oder echte Selbstständigkeit kann man nicht beibringen. Sich in der Schule zu behaupten kann man einem unreifen Kind ebenso wenig beibringen. Ohne einen gewissen Reifegrad (den man nicht lehren kann) gehen diese Dinge nicht.

Und dennoch wird genau das ständig versucht.

 

So als würde die Raupe schneller zum Schmetterling werden, wenn wir nur lange genug auf sie einredeten.

Am absurdesten finde ich die Aussage, dass Mütter ihre Kinder in den Kindergarten bringen, um sie daran zu gewöhnen, von ihr getrennt zu sein. Als könne ein Kind das lernen.

 

Es ist doch viel eher so, dass das Kind sich von alleine in die Welt aufmacht, wenn der Heimathafen sicher, sprich, der Hunger nach Nähe gesättigt ist.

Die Reaktion auf ein im Kindergarten leidendes Kind wäre also, wenn dies die Umstände zulassen, es eine Weile zu Hause zu lassen und sein Bedürfnis nach Nähe zu stillen. Oder eben dafür zu sorgen, dass es im Kindergarten jemanden hat, der auf seine Bedürfnisse eingeht.

Die Lerntheorie ist so sehr in unserer Gesellschaft verinnerlicht, dass uns der Unterschied zum Entwicklungsansatz überhaupt nicht bewusst ist. Selbst Psychologen, die sich Entwicklungspsychologe nennen, arbeiten sehr oft nach verhaltenspsychologischen Ansätzen.

 

Aber wieso ist das so?

Die Entwicklungspsychologie gibt uns keine konkreten Lösungen. Sie gibt uns eine Landkarte, mit der wir die Kinder besser verstehen können.

Damit können wir dann selbst durch das schwierige Labyrinth mit unseren Kindern navigieren. Es gibt keine einfachen Lösungen, sondern nur Impulse, die uns dabei helfen sollen, die Ursache anzugehen und nicht die Symptome. (Gordon Neufeld)

In der heutigen Zeit suchen Eltern konkrete Hilfestellungen, die einfach sind und schnell Wirkung zeigen.

Der Preis, der dafür langfristig gezahlt wird, ist selten bekannt. Nämlich die Reifung des menschlichen Potentials.

 

Wir wollen, dass unsere Kinder funktionieren, in der oft nicht kindgerechten Welt.

Wenn sie also im Restaurant nicht stillsitzen drücken wir ihnen ein Handy in die Hand und wir bekommen die ersehnte Ruhe. Was danach kommt, ist uns erstmal egal. Und dann können wir immer noch das Kind dafür verantwortlich machen.

Erst bringen wir Kinder ständig in Situationen, in denen sie überfordert sind. Stellen sie dann mit Mitteln ruhig, die nicht in Kinderhände gehören und machen sie dann für auftretende Verhaltensweisen verantwortlich.

Danach lehnen wir uns zurück und sind überzeugt, dass wir das schwierigste aller Kinder abbekommen haben. Dafür gibt es ja dann lange Betreuungszeiten und Erzieher, die das Problem richten sollen. (Ironie off)

 

Die Ansätze der Entwicklungspsychologie setzen voraus, dass Erwachsene sich den Themen stellen und auf einige Annehmlichkeiten verzichten.

Natürlich ist es eine Erleichterung, wenn das Kind bereits mit 3 Jahren viele Dinge alleine und außer Haus tut. Wenn wir aber wissen, wie sich die Bindungstiefe entwickelt, müssen wir Verantwortung übernehmen und uns selbst etwas zurücknehmen.

Ein Kind kann ohne eine fürsorgliche, verlässliche erwachsene Bezugsperson nicht zu seinem vollen Potential heranreifen. Das geht nicht. Dazu braucht es mindestens eine verlässliche Bindung, ein Ort, wo es zur Ruhe kommen kann.

 

Denn jede psychologische Entwicklung kommt immer von einem Ort der Ruhe. (Gordon Neufeld)

Dazu müssen wir auf die Bindungsbedürfnisse des Kindes länger als 2 Jahre lang eingehen und der sichere Hafen für unsere Kinder werden.

Vielleicht liegt hier der Hund begraben.

Verhaltenspsychologische Ansätze geben uns schnelle Lösungen, die die Symptome verändern und die Reifung völlig außer Betracht lassen – nehmen uns zu einem gewissen Grad die Verantwortung ab.

Wir sehen nur das, was da ist und nicht das, was da sein sollte. Welche Eigenschaften zu einem reifen Menschen gehören haben wir längst vergessen.

Entwicklungspsychologische Ansätze zwingen uns, genau hinzuschauen und somit auch unsere Unzulänglichkeiten genauer zu betrachten.

Das tut manchmal weh und ist ganz schön anstrengend. Denn dann stellen wir schnell fest, dass unsere eigene Reife noch ganz schön viel Entwicklungsspielraum hat.