Ist mein Kind schulreif?

Gerade noch lagen sie winzig klein in unseren Armen und schon stehen sie als Vorschulkind vor uns. Ist mein Kind schulreif? Das kann doch gar nicht sein. Mein Kind soll schon in die Schule?!? Soll mein Kind direkt mit sechs Jahren eingeschult werden oder warten wir lieber noch ein Jahr?

Diese Frage stellen sich viele Eltern jedes Jahr aufs Neue.

Bei uns ist es noch etwas hin bis die Schulpflicht eintritt. Leider gehört mein Kind nicht mehr zu den Kann-Kindern, (Danke Baden-Württemberg!) obwohl sie erst kurz vor Schulbeginn sechs Jahre alt werden wird.

Natürlich habe auch ich mir schon viele Gedanken darübergemacht, ob ich den Weg einer Rückstellung gehen möchte, obwohl es für Erzieher, Ärzte und Gesundheitsamt keine offensichtlichen Gründe gibt.

Die Frage ist mit einem Jahr Vorlauf einfach auch schwer zu beantworten. Wenn ich mir meine fast 5-Jährige heute anschaue, hat dieses Kind kaum noch etwas mit der 4- Jährigen zu tun, die sie mal war.

Klar, die Entwicklungssprünge in dem Alter sind enorm, so dass ich heute noch gar nicht wissen kann, was nächstes Jahr sein wird.

So bin ich das Thema mal andersherum angegangen. Ständig soll ich mich rechtfertigen, wieso meine Tochter erst mit sieben Jahren eingeschult werden soll.

Meine entwicklungspsychologischen Ansätze zum Thema Schulreife, die mich von „weichen Herzen“, „Bindungstiefe“ und „gemischten Gefühlen“ sprechen lassen, werden dann meist nur mit einem Augenrollen übergangen.

Aber was passiert, wenn ich mal genau nachfrage, welche Gründe denn dafür sprechen, dass mein Kind unbedingt nächstes Jahr in die Schule gehen soll?

Auf diese Fragen kommen dann solche Aussagen wie:

 

„Sie wird sich im Kindergarten langweilen.“

Das kann ich kaum glauben – ihr Kindergarten ist einfach toll, so viele Möglichkeiten, super Beziehungen zu den Erziehern, ein entspannter und respektvoller Umgang miteinander. Sollte sie sich wider Erwarten doch plötzlich sehr für Buchstaben oder so interessieren, kann ich dies ebenfalls super am Nachmittag aufgreifen.

Außerdem braucht es Langeweile, um kreativ zu werden. Da vertraue ich vollends unserem Kindergarten. So lange mein Kind sich dort sicher und geborgen fühlt und verschiedene Dinge zum freien Spiel nutzen kann, vertraue ich darauf, dass mein Kind sich nicht langweilen wird.

„Aber all ihre Freunde werden eingeschult“

Erstens stimmt das nicht und zweitens wäre dies niemals ein Grund, sie einschulen zu lassen. Im Gegenteil. Meine Tochter ist im Kindergarten in erster Linie an die Erzieherinnen gebunden und findet schnell neue Freunde.

Davon abgesehen, spielt sie mit so vielen Kindern, dass ich überhaupt kein Problem darin sehe, wenn sie noch ein weiteres Jahr im Kindergarten bleibt. In der Schule sollte dann der Lehrer oder die Lehrerin ihre Hauptbindung sein.

Freunde wird sie dort schnell finden, mal davon abgesehen, dass wir fast alle Kinder in unserer Gegend sowieso kennen.

„Ich sehe keinen Grund, wieso dieses Kind nicht in die Schule gehen sollte.“ (Dame des Gesundheitsamtes, die meine Tochter auf einem Bein hüpfen und ein Bild malen ließ) Also ist mein Kind schulreif?

Nein, natürlich nicht. Sie ist fix und könnte locker in die Schule gehen.

Es wäre aber toll, wenn ihre emotionale Entwicklung noch etwas Raum und Zeit bekommen würde.

So einfach ist das. Vieles, was ich als Mutter sehe, sieht eine Dame vom Gesundheitsamt in 20 Minuten sicher nicht.

Und auch unsere Kinderärztin kann das kaum einschätzen. Wobei ich froh bin, dass unsere Ärztin eine ähnliche Einstellung zu dem Thema hat.

„Na ja irgendwann geht der Ernst des Lebens eben los!“

Wie ich diesen Satz ablehne…Ja, genau, irgendwann! Aber wieso nicht einfach ein Jahr später? Und mal ehrlich, muss das wirklich so ernst werden?

 

„Sie wird immer eine der Ältesten sein“

Ja und? Macht das was? Soll sie lieber immer eine der Jüngsten sein?

Das Argument verstehe ich nicht mal. Es geht dabei hoffentlich nicht um den frühsten möglichen Eintritt ins Arbeitseben.

Denn ich lasse meiner Tochter gerne ganz viel Zeit damit. Ich habe auch erst mit 25 studiert, nebenher, völlig eigenverantwortlich und frei.

Mit 18 Abitur zu machen ist für mich kein erstrebenswertes Ziel. Entwicklung braucht Ruhe und Zeit. Das Leben ist kein ewiges Wettrennen.

 

„Irgendwann muss sie auch mal lernen, sich zu konzentrieren und stillzusitzen“

Ja genau, irgendwann das wird aber nicht gelernt, sondern kommt mit entsprechender Reife.

Das ist wohl das blödeste Argument von allen. Mein Kind ist ein absolutes Bewegungskind.

Sie sitzt kaum still, ist so gut wie immer draußen und ihre Hauptaktivitäten sind: Turnen, Klettern, Springen, Fahrradfahren, Rennen“.

Diesem Bewegungsdrang so viel Zeit wie möglich zu geben scheint mir ein besserer Weg, als sie zu zwingen, stillzusitzen.

Davon abgesehen, dass es mir als unmöglich erscheint, einem Kind seinen Bewegungsdrang abzugewöhnen. Ausleben, Raum geben und warten, bis sich ihre Interessen ändern.

Du siehst schon, die Gründe, die mir vorgetragen werden, überzeugen mich wenig.

Der einzige Grund, wieso ich meine Tochter mit gerade sechs Jahren einschulen würde wäre, wenn es ihr ausdrücklicher Wunsch wäre.

Sollte sie mir nächstes Jahr überzeugend darlegen, dass sie unbedingt in die Schule gehen möchte, bin ich die Letzte, die ihr dabei im Weg stehen wird.

Nur, muss das wirklich aus ihr herauskommen.

Nicht, weil sie im Kindergarten darauf vorbereitet wird. Und nicht, weil ihr alle erzählen, wie toll es ist, ein Schulkind zu sein. Es ist zum Kopfschütteln, wenn mir 5-Jährige stolz erzählen, dass sie nächstes Jahr zur Schule gehen.

Frage ich mal genauer nach, höre ich schnell die Sätze der Erwachsenen raus. Wie soll sich ein Kind darauf freuen, in die Schule zu gehen, wenn es nicht weiß, was das bedeutet. Allgemein finde ich, wird viel zu viel über Schule geredet und die Kinder werden zum schnellen Großwerden gedrängt.

Kaum gehören sie zu den „Mittleren“ im Kindergarten werden sie schon auf den nächsten Schritt vorbereitet. Lasst die Kinder im Hier und Jetzt, Schule kommt früh genug. Je natürlicher wir mit dem Thema umgehen, desto entspannter können unsere Kinder mit der neuen Situation umgehen.

Die Einschulung unserer Kinder- ein sehr schwieriges Thema. Fängt man an, nach Studien zu suchen, findet man welche, die für frühe und welche, die für spätere Einschulung sprechen. In Finnland werden Kinder übrigens meist mit 7 eingeschult und im PISA Vergleich liegen die Finnen bekanntlich vorne.

Das Thema ist so individuell, dass eben doch jedes Kind einzeln betrachtet werden muss. 

Für mich ist es wichtig, dass mein Kind in einem Kindergarten ist, der eben auch für ihre Bedürfnisse mit sechs Jahren noch Sorge tragen kann.

Würde mein Kind sich bei den Erziehern nicht so wohl und geborgen fühlen und würde ich da nicht viel Raum für Entfaltung und Reifung sehen, würde ich wohl einer früheren Einschulung positiver gegenüberstehen.

Es sind so viele Aspekte, die in Betracht gezogen werden sollten. Nicht zuletzt das Bauchgefühl der Erwachsenen, die das Kind am besten kennen.

Seitdem ich mich entschieden habe, bin ich wieder entspannter und mache mir darüber keine Gedanken mehr.

Was das nächste Jahr bringen wird, werde ich sehen. Sollte wider Erwarten meine Tochter plötzlich weniger aktiv und mehr interessiert an sitzenden Tätigkeiten sein, bin ich da sehr flexibel. Einfach mal schauen, was passiert.

Und ganz egal wie es kommt, werde ich meinem Kind während der Schulzeit der Puffer sein, den es braucht und darauf achten, dass genug Zeit zum Spielen bleibt.

Falls dir noch ein einleuchtendes Argument für eine frühe Einschulung einfällt freue ich mich über deinen Kommentar.

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