Kleinkind anstrengend

Kleinkind anstrengend…Immer wieder höre ich von Eltern diesen Satz: „Wir haben eine Diagnose!“ Als würde diese Diagnose alles erklären und Erleichterung bieten.

Endlich eine Erklärung zu dem Verhalten ihres Kindes. Zu den Problemen in der Familie. Mittlerweile gibt es unzählige Diagnosen.

Ich frage mich dann immer, welches Kind unter 6 oder 7 Jahren wohl nicht mindestens für eine dieser befremdlich klingenden Diagnosen in Frage käme.

Diese Verhalten sind in sehr vielen Fällen einfach reifebedingt total normal. (ich schreibe in den sehr vielen Fällen, also nicht in allen)

Der Alltag mit Klein- und Vorschulkindern ist häufig anstrengend. Vor allem wenn wir nicht sehen, was hinter ihrem Verhalten steckt.

Kleine Kinder sind unreif und verhalten sich so.

Sie unterscheiden sich sehr von den Menschen, die im Reifungsprozess weiter vorangeschritten sind. Die Raupe hat mit dem Schmetterling nicht mehr allzu viel gemeinsam.

Um das menschliche Potential zu entfalten brauchen die Kinder Zeit und Ruhe, einen Erwachsenen, an den sie sich anlehnen können und der für sie sorgt.

Wenn ich Eltern von 4-Jährigen über ihre Diagnosen sprechen höre frage ich mich wirklich, wer solche Diagnosen stellt.

 

Kinder unter 6 oder so…

(das Alter ist natürlich flexibel, wann gewisse Prozesse fortgeschritten sind – aber selten vor 6) sind unter anderem nun mal impulsiv.

Sie können nur eine Perspektive gleichzeitig einnehmen. Entweder wissen sie, was sie wollen oder was ihr Gegenüber will. Beide Positionen gleichzeitig können sie nicht einnehmen. Das führt zu viel Konfliktpotential im Alltag.

Sie sind entweder wütend oder glücklich, voller Liebe oder voller Hass. Beides gleichzeitig geht nicht. Und das hat auch seinen Grund.

Nur so können die Kinder die intensiven Gefühle kennenlernen, wahrnehmen, annehmen, bevor sie dann hoffentlich irgendwann dazu in der Lage sind, diese Gefühle auch zu mischen. Dann sollten Sätze wie „einerseits will ich dich schlagen, andererseits habe ich dich lieb und will dir nicht wehtun“ zu hören sein.

 

Ein Kleinkind in seiner emotionalen Entwicklung zu begleiten kann enorm anstrengend sein.

Meine Tochter ist 4,5 Jahre und ich kann Anfänge von gemischten Gefühlen spüren, aber sie ist noch lange nicht an dem Ort, an dem sie ihre Impulse verlässlich steuern kann.

Kleine Kinder reagieren emotional und sind immer im Hier und Jetzt. Für sie gibt es nur eine Sache zu jedem Zeitpunkt.

Deswegen sind die vielen rationalen Erklärungen, die Eltern ihren Kindern bieten sicher schön, kommen aber nicht an und bewirken gleich null. Wirkliche Einsicht können Kinder ohne die notwendige Reife nicht erlangen.

Sie können das erwünschte Verhalten erlernen, dann sollte aber nicht von Reife gesprochen werden. Sie lernen was Mama oder Papa möchten und handeln danach. Das heißt aber nicht, dass sie es tatsächlich verstanden haben. Kleinen Kindern beizubringen sich zu entschuldigen, ist möglich.

Aber das heißt noch lange nicht, dass es ihnen tatsächlich leidtut; dass sie es in dem Moment fühlen können.

Durch die frühe Sozialisierung müssen Kinder gewisse Verhaltensweisen lernen, auch wenn sie eigentlich noch nicht reif genug dafür sind.

Denn sonst würde Kindergarten und KiTa nicht möglich sein.

Unreife Kinder sind faszinierend. Nur sie haben diese Reinheit der Gefühle und können von Freudensprüngen zu emotionalen Zusammenbrüchen innerhalb weniger Minuten wechseln.

Sie lieben mit Haut und Haar und hassen genauso.

 

Eine feste Umarmung einer 4-Jährigen ist wohl die ehrlichste Umarmung die wir uns wünschen können.

Für uns Erwachsene ist das Verhalten oft schwer nachzuvollziehen, weil wir so ganz anders funktionieren. Weil wir wahrscheinlich einfach vergessen haben, wie Kinder sind und dass es auch gut ist, dass sie so sind.

Viele Verhalten, die uns im Alltag Schwierigkeiten bereiten und die wir als fragwürdig ansehen sind so absolut normal. Anstatt nach einer Diagnose zu suchen hilft oft einfach die Ruhe und die Zeit zur Reifung.

Und da bin ich wieder bei der Beziehung/Bindung. Ohne verlässliche Bindung kommt das Kind nicht zur Ruhe und somit nicht zur Reife. Ein Teufelskreis.

Denn reagieren wir negativ auf die Verhaltensweisen oder sogar mit Strafen, anstatt das Kind mit Zuneigung zu sättigen, kommt das Kind nicht zur Ruhe und somit nicht zur Reife.

Ich frage mich immer, was ein Psychologe bei einem 3 oder 4- jährigen Kind fördern soll, was die Eltern nicht könnten.

Es ist mir ein Rätsel. Davon abgesehen, dass man Reife nicht fördern kann. Sie geschieht, wenn die Bedingungen gegeben sind.

Wahrscheinlich würde es mehr bringen, wenn die Eltern sich die Gesamtsituation anschauten und dafür sorgten, dass das Kind Ruhe vor Bindungssuche hat und sich die meisten der Probleme von ganz alleine bessern.

Ich schaue täglich mit großem Staunen auf meine Tochter. Denn jeden Tag zeigt sie Fortschritte in der Reifung. Situationen, die sie vor 3 Monaten noch vor Wut strampelnd unter dem Tisch hätten liegen lassen kann sie mittlerweile mit einem wütenden Blick und aufstampfenden Füßen überstehen. Es macht einfach großen Spaß, ihr bei der Entfaltung zuzuschauen.

 

Wir sollten den Blick wieder auf die Reifung lenken und ein bisschen weg vom Verhalten und der Förderung.

Gordon Neufeld hat 3 Reifungsprozesse herausgestellt:

Den Adaptionsprozess (mit Dingen klarkommen, die wir nicht ändern können und trotzdem wieder zu unserem Potential zurückfinden), den Emergenzprozess (die Energie, die uns neue Welten entdecken lässt und unsere Neugierde nährt) und den Integrationsprozess ( Mischen der Gefühle – Entwicklung des präfrontalen Kortex).

Das ist die Kurzfassung, natürlich gibt es zu den drei Reifungsprozessen vieles zu wissen, vielleicht kann ich das an anderer Stelle mehr ausführen.

Wichtig mit diesem Artikel ist mir, dass die viele Verhaltensweisen sich mit der notwendigen Reife von alleine erledigen.

Die Wandlung geschieht meist zwischen dem 5. Und 7. Lebensjahr. Bei sehr intensiv fühlenden Kindern kann das auch länger brauchen.

Wenn man dem Kind dabei helfen kann, Situationen, die es überfordern aus dem Weg zu gehen und ihm einen sicheren Hafen bietet, in dem es zur Ruhe kommt, helfen wir ihm.

Die Erwachsenen übernehmen die Verantwortung für die Unreife des Kindes und geben ihm den Raum, zu reifen.

Wenn ein Kind in derselben Situation immer wieder unerwünschtes Verhalten an den Tag legt, dann sollten wir die Situation ändern (bis das Kind reif genug dafür ist) und nicht das Kind.

Die Erklärung, nach der so viele suchen, heißt oft ganz einfach Unreife.

PS: Es gibt natürlich auch andere Fälle, in denen es nicht ausschließlich um Unreife geht.

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