Als ich gestern, nach einer Woche Ferien, mit meiner Tochter im Auto nach Hause saß, gingen mir ein paar Fragen durch den Kopf:
Was würde ich jetzt machen, wenn ich nicht alleinerziehend wäre?
Was würde ich machen, wenn ich mehr Zeit und Freiraum für mich alleine hätte?
Wenn also die Care-Arbeit auf mehr Schultern verteilt wäre?
Als erstes lief in meinem Kopf ein Film ab, in dem ich alleine im Auto saß, umdrehte und Richtung Paris fuhr und dann immer weiter, bis zur Pointe du Raz in der Bretagne.
Einer meiner absoluten Lieblingsorte auf dieser Welt. Bevor ich Mutter wurde, wäre das ein vorstellbares und wenig überraschendes Szenario gewesen.
Aber so saß ich nun im Auto, nicht allein und auch Null entspannt, obwohl gerade eine Woche Urlaub vom Erwerbs-Job hinter mir lag.
“Urlaub” als Alleinerziehende ist eben nie Urlaub.
Vielmehr ist es ein Eintauschen der bezahlten Arbeit gegen 24 Stunden unbezahlte “Arbeit”.
Ja, das macht auch Spaß, manchmal zumindest. Wir haben es ja so gewollt. Bisschen mehr Real-Talk würde so einige Erwartungshaltung zurechtrücken.
Da wir aber von einem Städtetrip und ein paar Tagen bei den Großeltern zurückkamen, zählte das sowieso nicht als Urlaub. Es war schön, aber eben kein Urlaub.
Zuvor habe ich mich gefragt, wie mein Leben wohl ohne Kind aussehen würde und die Gedanken, die mir dazu in den Kopf kamen, haben mir nicht gefallen.
Ich kann und will es mir schlichtweg nicht vorstellen.
Ich mag unser Leben und ich mag, wer ich dank meiner Tochter geworden bin.
Schon alleine für meine Sesshaftigkeit bin ich meiner Tochter sehr dankbar. Fünfzehn Umzüge in nur zehn Jahren sind auch nicht das Gelbe vom Ei.
Am Ende ist die Struktur, die sie braucht und die ich ihr bieten möchte, das, was mir in den letzten zwanzig Jahren gefehlt hat.
Ich schweife ab.
Also dachte ich eine Weile auf der Frage, was ich machen würde, wenn ich mehr Zeit und Freiraum für mich hätte.
Das ging wunderbar, da die dritte Folge Bibi Blocksberg und die nervige Stimme von Karla Kolumna mich zum Abdriften geradezu gezwungen hat.
Bei der Frage geht es mir gar nicht so sehr darum, mir selbst leid zu tun, in dem ich mir vor Augen führe, was gerade alles nicht geht.
Vielmehr geht es mir darum, mich auf etwas freuen zu können. Denn Kinder werden größer und die Angst vorm leeren Nest treibt nicht wenige Alleinerziehende umher.
Als ich so darüber nachgedacht habe, was ich alles machen würde und werde, wenn ich nicht alleinerziehend wäre, fing ich an, mich mehr und mehr über jeden Schritt der kindlichen Selbstständigkeit zu freuen.
Die ersten fünf Dinge, die mir eingefallen sind:
- Ich würde mindestens einmal im Jahr ein paar Tage wandern, ganz alleine. Nur ich. Losgehen würde es an der eigenen Haustüre.
- Meine FreundInnen, die mir aus meinen Lebensphasen im Ausland erhalten blieben, würde ich endlich mal besuchen.
- Mein Französisch würde ich allzu gerne in einem Konversationskurs bei der Volkshochschule auffrischen. Der Gedanke verfolgt mich schon seit Jahren.
- Einmal in der Woche in den Filmclub gehen, würde wohl auch drin sein, wenn ein zweiter Elternteil Verantwortung übernehmen würde.
- An freien Abenden würde ich die Wohnung nach 19 Uhr verlassen und eine Runde spazieren gehen.
Ich war erstaunt, wie schnell mir Ideen kamen, was ich alles machen würde, wenn ich nicht zu 100% alleine für mein Kind verantwortlich wäre.
Die Tatsache, dass vieles davon aktuell noch nicht geht, frustriert mich nicht.
Es zeigt mir, dass immer mehr von mir wieder an die Oberfläche kommt und es mich in unserer Ein-Eltern-Familie mit jedem Tag wieder ein Stückchen mehr gibt.
Natürlich kann ich hier und da Freiheiten organisieren. Die sind sehr selten und deshalb umso kostbarer.
Manchmal wünschte ich mir, dass es anders wäre. Ich habe aber akzeptiert, dass es wahrscheinlich noch 2-3 Jahre eher schwierig sein wird mit meinen jährlichen Wanderungen.
Das ist ok, wir machen es uns anders schön. Das geht immer besser, je größer meine Tochter wird.
Nach und nach kamen mir noch so viele Ideen, von denen du wahrscheinlich denkst:
“Na, warum macht sie das denn nicht alles jetzt schon?” Dazu kann ich nur sagen, jede Familie ist anders und in manchen Familien gehen bestimmte Dinge leichter als in anderen.
Noch ein paar Dinge, die ich tun würde, wenn ich nicht alleinerziehend wäre:
- neue FreundInnen finden und Menschen mit dem Hang zu tiefgründigen Gesprächen
- Sport im Sportverein machen und mich ehrenamtlich engagieren
- Eine “Patenschaft” für ein Kind übernehmen und mit ihm lernen und Spaß haben
- Mir öfters Menschen einladen
- Meine Arbeitszeit anders einteilen
- Vielleicht einen Garten haben
- Einem Leseclub beitreten. Ich lese aktuell so viele Bücher und finde es teils so frustrierend, mich darüber nicht austauschen zu können.
- Öfters ins Theater und zu Konzerten gehen.
Es gibt so Bilder in meinem Kopf, die immer mal wieder hochkommen. Ich kann mir sehr viel vorstellen und mich in ganz viele Abenteuer reinversetzen.
Ob das eine Wanderung mit meinem Esel (den ich vielleicht irgendwann mal haben werde) ist. Oder eine lange Radtour zu einem mir noch unbekannten Ziel.
Es müssen aber nicht immer die großen Dinge sein, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Es gibt so viele kleine Dinge, für die jetzt oft noch die Zeit fehlt.
Dann gibt es noch die großen Dinge, die mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Ich würde wahrscheinlich viel mehr schreiben und vielleicht würde ich mein Buch zum Thema “Trennung mit Kindern unter 7” in Papierform herausbringen und wäre sehr viel aktiver in Alleinerziehenden-Netzwerken und mein Blog würde auch mehr Artikel bekommen.
So sitze ich hier und denke an all die kreativen und wichtigen Ideen, die Millionen von Müttern umsetzen würden, wenn sie die Energie und Zeit dazu hätten.
All das Gute, das wir in die Welt bringen könnten, wenn man uns ließe.
Wahrscheinlich sollten wir nicht mehr darauf warten, bis man uns lässt. Ganz vielleicht sollten wir Wege finden, wie wir das ein oder andere umsetzen und nicht darauf warten, bis wir Gelegenheit dazu haben.
Aus einem kleinen Schritt, den wir heute gehen, kann so viel entstehen. Am Ende können viele kleine Dinge große Veränderungen hervorbringen.
Das Schreiben und Nachdenken darüber hat mich dafür jetzt mehr sensibilisiert und hilft mir hoffentlich, jetzt schon ganz bewusst mehr Zeit für alles, was mir wichtig ist, einzuräumen.
Jetzt würde mich interessieren, welche Dinge dir bei der Frage als erstes in den Kopf schießen.
Die Frage eignet sich auch wunderbar für eine Journaling-Übung:
Stelle dir den Wecker auf drei Minuten und schreibe alles nieder, was dir in den Kopf kommt. Ohne zu werten, ohne zu überlegen und ohne Pause. Einfach schreiben. Je mehr du das übst, desto erstaunlicher werden die Ergebnisse sein.
Natürlich kannst du die Übung auch machen, wenn du nicht alleinerziehend bist.
Mütter haben oft auch in Paarbeziehungen wenig Freiräume und verschieben ihre Bedürfnisse und Wünsche auf später. Wenn später dann ist, wissen viele nicht mehr, wofür sie früher einmal brannten.
Also: Was würdest du tun, wenn du mehr Freiräume hättest und der zweite Elternteil mehr Verantwortung für die Kinder übernehmen würde?
Und da ich die Frage so inspirierend finde, habe ich beschlossen, daraus eine Blogparade zu machen.
Hier mein Aufruf zur Blogparade „Faire Verteilung der Care-Arbeit – mehr Raum für Mütter“ mit allen Details und ein paar Fragen, die dir helfen, deine Gedanken zu formulieren.
Ich freue mich, wenn du mitmachst und deinen Beitrag unter meinem Blogparadenaufruf verlinkst.
Ich freue mich über die Blogartikel, die durch meinen Aufruf zur Blogparade geschrieben wurden:
Andrea Stoye beschreibt in ihrem Artikel „Du hast es verdient glücklich zu sein: Wie ich den Mut fand, mein Leben zu verändern“ ihren Weg von einem zunächst erfüllenden Job hin zu einem Zustand innerer Leere und wachsender Selbstzweifel, obwohl sie äußerlich erfolgreich war. Nach intensiver Selbstreflexion erkannte sie, dass die ständige Arbeit und Erreichbarkeit sie zunehmend erschöpften, und traf schließlich die mutige Entscheidung, ihren Job zu verlassen. Diese Veränderung führte sie zu mehr Selbstbestimmung und innerer Freiheit, wodurch sie ein Leben erschuf, das ihren wahren Bedürfnissen entspricht. Andrea betont, wie wichtig es ist, den Mut zu haben, Veränderungen zu wagen, weniger zu arbeiten und mehr Lebensfreude zu finden.
Marita hinterfragt den Begriff „Alleinerziehend“ im Kontext von Patchwork-Familien. Obwohl sie und der Vater aktiv in die Betreuung des Bonuskindes eingebunden sind, wird die Mutter des Kindes offiziell als alleinerziehend gezählt. Sie kritisiert diese Definition und betont, dass „Alleinerziehend“ und „Stiefmutter“ oft negativ konnotiert sind. Sie plädiert dafür, neutralere Begriffe wie „getrennte Mutter“ und „neue Partnerin“ zu verwenden, um die Realität besser abzubilden. Abschließend ermutigt Marita, darüber nachzudenken, wie eine gerechtere Aufteilung der Care-Arbeit aussehen könnte, und rät, bewusst Freiräume im eigenen Leben zu schaffen.
Meinen Newsletter „Leichter Leben als Alleinerziehende“ mit Impulsen rund um das Leben in Ein-Eltern-Familien kannst du hier erhalten: