Manche Menschen haben Schwierigkeiten, ihre verletzlichen Gefühle zu spüren und zuzulassen. Auch Kinder lassen unangenehme Gefühle nicht immer zu, verdrängen sie und erscheinen, als wäre alles in Ordnung.

Viele Gefühle sind zu intensiv, um sie zulassen zu können. Echte Trauer kann ich vor allem spüren, wenn es um andere geht, wenn ich nicht zu direkt betroffen bin.

Traurige Filme, traurige Musik, traurige Geschichten kann ich zulassen. Aber die Konfrontation mit direkter Trauer ist zu viel und mein Gehirn schützt mich davor.

Meine Tochter ist ein Kind mit sehr intensiven Emotionen, meist zu intensiv um sie wirklich zuzulassen. Vieles wird heruntergespielt, unterdrückt und abgetan.

Wenn sie sich wehtut, beißt sie die Zähne zusammen und tut so, als wäre nichts passiert. Dabei sehe ich genau, wie sehr sie sich verletzt hat. Und dies, obwohl sie noch nie in ihrem Leben einen Satz wie „Ist doch nicht so schlimm“, „brauchst doch nicht zu weinen!“ oder ähnliches gehört hat.

Es fühlt sich einfach zu verletzlich an, sich schwach zu zeigen.

Die Kehrseite ist, dass meine Kleine immerzu strahlt. Das Glück ist genauso intensiv wie die Trauer, was natürlich sehr schön zu erleben ist.

Wenn ihre beste Freundin ihr sagt, dass sie nicht mehr ihre Freundin ist, unterdrückt sie alle Emotionen, die in ihr brodeln und macht so weiter, als wäre nichts gewesen.

Wenn Sie einen schwierigen Start mit mir am Morgen hatte, unterdrückt sie auch ihre Trauer darüber.

Diese Schutzmechanismen greifen ganz automatisch. Wenn etwas zu viel für sie wird schützt sie ihr Gehirn vor diesen Gefühlen.

 

Sie nimmt in dem Moment die Emotionen also nicht mehr bewusst wahr.

All diese kleinen Verletzungen während des Tages „meistert“ sie schön verdeckt zu halten. Die Emotionen brodeln aber ja im Inneren und entladen sich immer mal wieder in Frustration.

Es ist so schwierig und so ein harter Weg, sie zu ihrer Trauer zu bringen. Denn ein Mensch, der immer nur wütend wird und niemals die Dinge betrauert, die er nicht ändern kann, wird aus diesem Frustrationskreisel (Gordon Neufeld) kaum herauskommen.

Wir können Umstände, die uns nicht gefallen erst dann annehmen, wenn wir sie betrauert haben. Nur dann können wir loslassen und regen uns nicht immer wieder aufs Neue darüber auf.

Im letzten Artikel habe ich ja bereits über die Bedeutung des Spiels bei unbeliebten Aktivitäten im Vorschulalter geschrieben.

Spiel ist auch optimal dazu geeignet, als Plumpsklo der Emotionen zu dienen (Gordon Neufeld) oder eben um schwierige Situationen überhaupt an sich heranzulassen.

Auf direktem Weg ist dies viel zu verletzlich für meine Tochter. Anfangs versuchte ich, solch schmerzenden Gefühle anzusprechen, wenn unsere Verbindung gut war und sie sich sicher fühlte. Das führte direkt dazu, dass sie sich abwandte und mir zu verstehen gab, dass sie das nicht hören kann.

So als würde die Erinnerung daran sie schon so schmerzen, dass sie komplett dichtmachte. In diesen Wunden direkt zu bohren ist viel zu viel für viele Kinder. Diese Gesprächsversuche gingen nach hinten los. Sie machte noch mehr zu, zog sich in ihr Schneckenhaus zurück, immer dann, wenn ihr etwas unangenehm war.

Mit der Zeit lernte ich, dass ich Themen nur ganz vorsichtig im Vorbeigehen anschneiden kann. Ganz kurz und vorsichtig und auf weiter zu etwas Anderem. Das hielt sie aus und schien sie etwas weiter zu bringen.

 

Es war mir immer klar, wie wichtig es wäre, dass sie ab und an mal weint.

Ich spreche von diesem befreienden Weinen. Wenn man alles versucht hat und realisiert, dass nichts Anderes als Weinen mehr übrigbleibt. Dieses Weinen mit dem reinigenden Effekt. Na jedenfalls kam das bei meiner Kleinen in den 5 Jahren sehr selten vor.

Das Thema habe ich auch bei den Erziehern angesprochen. Sie staunten, denn nachdem ich sie darauf aufmerksam gemacht habe realisierten sie, dass sie nie weinte. Hier mal wieder die Bestätigung:

Wir sehen nur das, was da ist und selten das was fehlt.

Denn wir haben vergessen, was eigentlich da sein sollte. Ein Kind das nie weint? Angenehm, zumindest für die Erzieher. Dass der ganze Frust dann später rauskommt bekomme ja nur noch ich mit.

Deswegen muss ich mir immer etwas einfallen lassen, wie ich schwierige Themen auf Umwegen, also mit einem gewissen Abstand mit ihr thematisiere.

Und was sich bei uns in letzter Zeit als sehr wertvoll erwiesen hat, sind selbst erfundene Geschichten, mit denen sie sich identifizieren kann. Das fing ganz spontan an und hat sich zu einer richtig langen, großen Geschichte entwickelt.

Mittlerweile fragt sie mich schon immer gleich, was der kleine Marienkäfer denn heute erlebt hatte. Sie hat natürlich irgendwann kapiert, dass der kleine Marienkäfer all das erlebt und fühlt, was sie erlebt und fühlt, aber über diesen Umweg kann sie schwierige Emotionen nochmal durchleben und zulassen.

Anfangs tat ich mir sehr schwer. Es ist so viel einfacher, ein Buch vorzulesen als die eigene Phantasie auszugraben und Geschichten zu erfinden. Aber egal wie schlecht in meinen Augen meine Geschichte ist, meine Tochter liebt sie und geht so richtig in ihnen auf.

Zu ihren Tränen findet sie nach wie vor sehr selten. Aber ich merke, wie sie weicher wird, und sich ganz langsam öffnet, wenn sie die Abenteuer des Marienkäfers gespannt verfolgt.

Super kommen auch Geschichten an, die ich ihr über meine Kindheit erzähle. Situationen, die mir Angst gemacht haben, in denen ich traurig war oder ganz glücklich. So lange ich meine Kleine immer wieder in solche Welten mitnehmen kann und sie sich auf Umwegen auf diese Gefühle einlassen kann, bin ich beruhigt.

 

Das Spiel und die Natur werden den Rest machen.

Aber den Raum dafür muss ich bewusst schaffen und auch reservieren. Im Alltag passiert es so schnell, dass diese Zeitfenster gefüllt werden und tagelang kein echtes Spiel stattgefunden hat.

Gerade, wenn Kinder älter werden und nur noch mit Gleichaltrigen spielen wollen ist es für mich ganz wichtig, Zeiten zu blocken, in denen ich mich mit meinem Kind verbinde und eben genau solche emotionalen Spielplätze schaffe.