Der Spiegel-Bestseller Das Unwohlsein der modernen Mutter“  (Leseprobe) von Mareice Kaiser (Mai 2021 Rohwolt Taschenbuch Verlag)  landete genau zum richtigen Zeitpunkt in meinem Briefkasten.

Nach drei Wochen Urlaub alleine mit Kind, völlig entnervt und auf etwas Ruhe hoffend, öffnete ich den Briefkasten und das Buch zur Rezension fiel mir entgegen.

Nachdem ich sechs Bücher ungelesen wieder aus dem Urlaub mit nach Hause gebracht hatte, habe ich mich direkt auf die noch gepackten Koffer gesetzt und angefangen, zu lesen. Das Zitat auf dem Buchrücken „Es tut mir leid, ich schaffe gerade gar nichts, außer überleben.“, hat mich direkt angesprochen. In den ersten Jahren meiner Mutterschaft habe ich mich oft entsprechend diesen Satzes gefühlt. Heute ist das Gefühl seltener geworden, aber es gibt es noch.

Die Autorin lenkt den Fokus schnell von der individuellen Situation hin zu den strukturellen Ungerechtigkeiten und Schwierigkeiten, denen Mütter begegnen. Diese nochmal klar vor Augen zu haben, kann jede Mutter ungemein entlasten. Denn schnell neigen Mütter dazu, das Problem in ihrer individuellen Situation zu suchen. Das Buch macht deutlich, dass die Herausforderungen jedoch in den Strukturen liegen. 40 Stunden arbeiten mit der Care- Arbeit zu vereinbaren ist nun mal nicht möglich. So trifft es für mich das Zitat auf dem Buchtitel ziemlich gut:

„Ich möchte nicht überall nur halb sein, sondern ganz.“

 

Genauso fühle ich mich seit vielen Jahren öfters. Egal, wo ich bin, ich denke immer schon zwei Schritte weiter. Und während die To-Do Liste im Kopf immer länger wird, versuche ich nebenbei meine Tochter beim Buchstabenlernen zu unterstützen. Mütter sind selten nur bei einer Sache. Selbst wenn ich zu Hause bin ist mein Kopf nicht selten schon wieder ganz woanders. Das Buch hat für mich den Nagel auf den Kopf getroffen.

Beim Lesen wird schnell klar, dass eben nicht alle zu jederzeit alles haben können, wenn sie sich nur genug anstrengen. Diese Geschichte wird allzu gerne erzählt. aber mal ehrlich, die Bedingungen und Voraussetzungen sind so unterschiedlich. Für viele ist es nicht möglich, alles zu schaffen, wenn sie sich nur genug anstrengen.

Die Metapher des kuschelig warmen Pullovers (der auf dem Buchcover zu sehen ist), der die Autorin aber kratzt und sie schnell zum Schwitzen bringt, verdeutlicht die Problematik rund um das Ideal von Mutterschaft. Dieser Pullover passt nicht jedem Menschen und Ziel kann es nicht sein, ihn für jeden Menschen passend zu machen. Jeder Mensch sollte frei darin sein, zu wählen, welches Kleidungsstück er tragen möchte und wie dieses beschaffen sein sollte.

Mareice Kaiser geht auf die verschiedenen Lebensbereiche ein und zeichnet ein Bild vom Muttersein, bei dem ich in regelmäßigen Abständen zustimmend nickend dasaß und manchmal auch staunend realisierend.

Was mir sehr gut gefällt ist, dass die Autorin neben den offensichtlichen alltäglichen Tätigkeiten auch auf weniger offensichtliche hinweist, nämlich die emotionale Arbeit, die nach wie vor zu einem großen Teil von den Müttern geleistet wird. Gerade im Begleiten von Kindern ein für mich viel zu wenig gesehener Aspekt.

Die Schreibweise ist locker und leicht zu lesen. Genau das, was Mütter mit wenig Zeit und wenig Raum für Konzentration gut lesen können. Dabei ist dieses Buch genauso wichtig und aufschlussreich für Väter und alle anderen Menschen. Denn, wer selbst nicht betroffen ist, kann sich nur schwer vorstellen, welchen Diskriminierungen Mütter, Mütter mit Behinderung, Mütter mit anderen Besonderheiten oder alleinerziehende Mütter begegnen.

„Mit manchen Ungerechtigkeiten lebt man so lange, bis man irgendwann glaubt, sie seien ganz normal und nicht zu ändern.“ (S. 42)

Im Kapitel „Kunst“ beleuchtet Mareice Kaiser Gründe dafür, weshalb Frauen in der Kunst unterrepräsentiert sind. Sie kommt du dem Schluss, der mich seit Jahren zurückhält, meine Ideen umzusetzen. Um kreativ zu sein brauchen Menschen Zeit. Zeit zum Denken und Zeit zum Sein.

Die Autorin führt als Beispiel das Schreiben an. Ein Buch schreibe sich nicht, indem man sich an den Schreibtisch setzt und einfach drauflosschreibt. Dem Schreibprozess gingen viele Stunden „unsichtbare Denkarbeit“ voraus. Gedanken spinnen während das Kind im 2-Minuten Takt nach Mama verlangt, ist meiner Meinung nach nicht einfach möglich.

Zu den persönlichen Berichten der Autorin mischen sich Fakten und Studien, die das Gefühl vieler Mütter unterstreichen können.

Ein Buch, das zum Nachdenken anregt, viele Aha-Moment bereithält und hoffentlich zu Debatten ermutigt. Es kann Mütter entlasten, guttun, aber auch wütend machen. Am Beginn vieler Veränderungen steht die Wut, also vielleicht gut, die Wut auf bestehende Strukturen.

 

Das Unwohlsein der modernen Mutter hat mich mal wieder wachgerüttelt und mir etwas der schweren Last von meinen Schultern genommen. Es ist leicht, die Fehler immer nur bei sich zu suchen und das eigene Leben noch mehr zu optimieren. Von allen Seiten wird Müttern zugeflüstert, dass sie alles haben können, würden sie es nur richtig machen.

Ich habe schon den Eindruck, dass ich in den letzten Jahren sehr vieles richtig gemacht habe. Trotzdem kann ich aktuell nicht alles haben. Mareice Kaiser hat mich aber auf jeden Fall ermutigt, etwas lauter zu sein und weiter zu schreiben. Wir Mütter müssen sichtbarer werden – wir alleinerziehenden Mütter sowieso! Wie kann es sein, dass die, wie im Buch mehrfach erwähnt, am schnellsten wachsende Familienform so wenig Beachtung in politischen Entscheidungen findet?

So schlage ich das Buch zu, schaue mir den kuschelig rosa Pullover auf dem Cover (ich mag weder rosa, noch kuschelig weich – denn ich kaufe nur noch schnell und leicht zu reinigende Kleidung) an und denke an den ersten Satz, den ich mir angestrichen hatte:

„Staubkorn in meiner Wohnung müsste man sein. Dann müsste man nicht so viel denken und könnte sich einfach vermehren und es gemütlich haben.“ (S.32)