Mein Kind ist unsozial
Erst gestern berichtete mir eine aufgebrachte Mutter, dass ihr gerade 4-Jähriger Sohn einigen Tests unterzogen wurde. Das Ergebnis war, dass seine sozialen Kompetenzen nicht altersgemäß ausgeprägt seien.
Ich wiederhole: das Kind ist 4!
Ihr wurde vom betreuenden Arzt empfohlen, ihn unbedingt wieder gegen seinen Willen in den Kindergarten einzugewöhnen, um soziale Kompetenzen mit Gleichaltrigen zu üben. (Obwohl seine Mama sowieso zu Hause ist und ihn gerne zu Hause betreuen würde)
Wann wurde uns eigentlich eingeredet, dass Kleinkinder sich gegenseitig benötigen, um Rücksicht und andere soziale Verhaltensweisen zu erlernen?
Ist dies in Großfamilien gegeben? Oder im Dorfverband? Oder treffen da nicht viel eher Menschen verschiedenen Alters zusammen?
Ein Ort mit vielen Gleichaltrigen oft ein Ort unglaublicher Frustration und Stress? Kindern in dem Alter fehlen einfach noch viele Kompetenzen, die sich noch entwickeln dürfen.
Der Satz „mein kind ist unsozial“, macht die falschen Erwartungen vieler Erwachsenen deutlich.
Kinder in diesem Alter verhalten sich von Natur aus unsozial.
Teilen, abwägen, entschuldigen, abwechseln, abwarten, das sind alles Dinge, die bestimmte Entwicklungsschritte voraussetzen.
Wie soll ein 4 Jähriger seine Impulse im Zaum halten wenn er mit viel Frustrationen konfrontiert wird. Wie sollen Kleinkinder solche Herausforderungen „unter sich regeln“? (wie man so oft zu hören bekommt)
Soziale Kompetenzen werden durch verschiedene Reifungsprozesse hervorgebracht, die man nicht beschleunigen kann.
Wir können ungünstige Bedingungen aus dem Weg räumen und dem Kind den Ruhepol bieten, den es zur Reifwerdung benötigt.
„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!“
Die Zeit, die wir unseren Kindern zum Reifwerden geben, wird immer kürzer. Mittlerweile werden Eltern, die ihre Kinder nicht mit einem Jahr in die Kita geben, bereits dazu genötigt, sich zu rechtfertigen.
Wenn wir als Eltern erstmal wissen, dass Kinder unter 6 kaum zu gemischten Gefühlen fähig sind, leuchtet uns auch ein, dass sie nicht dazu in der Lage sind sich selbst zu regulieren. Ein frustrierender Kindergartentag ist da oft genug, um aggressives Verhalten zu Tage zu bringen.
Dass ein Kind unsoziales Verhalten zeigt, ist also nichts Ungewöhnliches.
Die gemischten Gefühle entwickeln sich frühestens zwischen dem 5.-7. Lebensjahr, bei sehr sensitiven Kindern noch später. So lange das Kind aber nicht „einerseits, andererseits“ und „sowohl, als auch“ fühlen kann, wird es immer seinem ersten Impuls folgen.
Es kann nur eine Sache zu jeder Zeit.
Gemischte Gefühle sind die Früchte eines Reifungsprozesses. Die präfrontale Hirnrinde muss dazu gut entwickelt sein. Erst dann ist das Kind auch in der Lage, in frustrierenden Situationen verschiedene Gefühle zu fühlen. Dann ist es langsam in der Lage, weniger impulsiv zu reagieren und auch mal die Perspektive seines Gegenübers zu betrachten.
Dies ist kein Beitrag über die Sinnhaftigkeit oder Unsinnigkeit früher Sozialisierung. Es geht mir viel eher darum, zu vermitteln, dass ein Kind, das nicht in den Kindergarten geht, sicher nicht deswegen keine sozialen Kompetenzen entwickelt.
Was brauchen Kinder denn?
Um sich zu entwickeln brauchen Kinder vor allem verlässliche Bindungen an fürsorgliche Erwachsene. Dadurch finden sie zu Ruhe, sie müssen also nicht dafür arbeiten, um angenommen und geliebt zu werden.
Wenn sie dann noch die Sicherheit und Geborgenheit erfahren, die sie benötigen und genug Raum für Spiel haben,. sind das gute Voraussetzungen für ihre Entwicklung. In welchem Umfeld diese dann stattfindet, ist von Kind zu Kind unterschiedlich.
Diese Entwicklung braucht Zeit….und davon haben unsere Kleinkinder leider immer weniger.
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